Rein in den Wald

Kiefern rechts und links der Fahrbahn. Kiefern, so weit das Auge reicht. Wer Brandenburg auf der Autobahn durchquert, dem bleibt häufig vor allem dieses Bild in Erinnerung. Wer aussteigt, erfreut
sich im Sommer am charakteristischen Geruch der Nadelbäume. Der Eindruck ist nicht ganz falsch, denn Brandenburg gehört mit einer bewaldeten Fläche von 1,1‚Millionen Hektar – mehr als ein Drittel des Landes – zu den waldreichsten Bundesländern. Doch der Eindruck aus dem Autofenster ist unvollständig, denn Brandenburgs Wälder haben dem Besucher viel mehr zu bieten als
Kiefern-Monokulturen.

Es ist Viertel vor neun an einem Sonntagmorgen nahe der Stadt Bernau im Norden Berlins. „Ta-taa, ta-taa-ta-taa.“ Die Klänge des Jagdhorns sind bereits von Weitem zuhören. Der pensionierte Forstingenieur Klaus Brucker, besser bekannt als „Ober‘örster Klaus“, bläst nicht etwa zur Jagd. Mit seinem Instrument versammelt er eine seiner jährlich rund 250 Wandergruppen, mit denen er Streifzüge durch die Wälder des Barnims unternimmt. Treue Begleiter dabei sind neben dem Jagdhorn Dackel Waldi sowie drei Mobiltelefone mit unterschiedlichen Netzen – ‘ür alle Fälle, denn mit Funklöchern muss man hier rechnen.

Das geheime Leben der Bäume

Wer minütlich E-Mails auf dem Smartphone checken muss, ist in der Stadt wohl tatsächlich besser versorgt. Wer aber den Trubel der Metropole hinter sich lassen möchte, kann hier im Wald zu sich selber finden. Mit jedem Schritt in den Wald hinein schärfen sich die Sinne, der Kopf wird klarer, der Atem freier. Immer mehr Menschen entdecken den Reiz des Waldes f‘ür sich. Bruckers Försterkollege Peter Wohlleben wurde mit einem Buch über das „Geheime Leben der Bäume“ zum Bestseller-Autor. Wohllebens Thesen über Ge‘fühle und Freundschašen bei Bäumen kann Ober‘förster Klaus, der mehr als vier Jahrzehnte beruflich im Wald verbrachte, durchaus etwas abgewinnen und zeigt sich überzeugt: „Bei der Erforschung der Bäume stehen wir noch ganz am Anfang.“

Doch der Wald hält nicht nur weiter Geheim nisse bereit, er ist im Wandel begrižffen. Vorbei sind die Zeiten, in denen in Deutschland Angst vorm Waldsterben herrschte. Derzeit geht es um den Waldumbau: Mischwälder gelten gegenüber reinen Nadelwäldern als gesünder und nachhaltiger. „Es gibt einen großen Umschwung im Moment“, erklärt Klaus Brucker, „von den Nadelbäumen hin zu den Laubbäumen.“ In seinem alten Revier, das f‘ür Brandenburger Verhältnisse besonders reiche Böden aufweist, hat sich in den vergangenen Jahrzehnten schon viel getan. Neben Fichten und Lärchen finden sich, vom Förster begünstigt, Rosskastanien und Eichen. Besonders im Kommen ist aber Bruckers Lieblingsbaum, die Rotbuche: „Das ist der natürliche Baum ‘ür diese Gegend.“ Andernorts in Brandenburg sind die Böden ärmer, hier f‘ühlen sich Nadelgehölze weiter wohler.

Rund sieben von zehn Brandenburger Bäumen sind weiterhin Kiefern. Das muss kein Nachteil sein, findet Brucker: „Auch ein armer Wald kann ein lohnenswertes Ziel sein. Als Pilzsucher beispielsweise ist man in einem armen Wald besser bedient als in einem reichen.“ Besonders interessante Wälder mit einem hohen Kiefernanteil gebe es beispielsweise im südwestbrandenburgischen Fläming. Eines hat Bruckers jahrzehntelange Erfahrung im Wald ihn gelehrt: „Jede Art von Extremismus ist schlecht.“
Und das gelte selbstverständlich auch ‘für den Umgang mit Nadelwäldern, die sich in einigen Jahrzehnten, wenn die globalen Temperaturen steigen, f‘ür Brandenburg noch als Standortvorteil, weil anspruchsloser, erweisen könnten.

Vielseitiges Erholungsgebiet

Eigentlich, so Brucker, gebe es überhaupt keinen Wald in Brandenburg, der keinen‚ Besuch lohne. Und außer dem Wandern und Pilzesuchen bieten sich die Wälder ‘für eine Reihe weiterer Aktivitäten an. Radfahrer und Nordic Walker etwa haben das Wegenetz in Brandenburgs Wäldern schon länger ‘für sich entdeckt. Besonders angetan zeigt sich der pensionierte Förster Brucker aber von einem verhältnismäßig neuen Phänomen: Geocaching, die moderne Form der Schnitzeljagd mithilfe von Technik und GPS-Koordinaten, zieht immer mehr junge Menschen in den Wald. Auch wenn manch ein Försterkollege diesen Trend mit etwas Skepsis sieht und Schäden am Wald ‘ürchtet, zeigt Brucker sich überzeugt: Jedes öžentliche Interesse
am Wald dient letztlich seiner Erhaltung. Aus demselben Grund hat der Landesbetrieb Forst Brandenburg einen kleinen Waldknigge herausgegeben. Dort finden sich Selbstverständlichkeiten wie das Verbot von Rauchen und Feuermachen im Wald oder die Leinenpflicht ‘ür Hunde. Doch der Waldknigge ist auch eine Einladung, eine Ermutigung zum Waldbesuch. Denn der wird vom Förster nicht nur geduldet, er ist, egal ob sich der Wald in privatem oder öžffentlichem Besitz befindet, ein Recht ‘für Ruhesuchende: „Zum Zwecke der Erholung darf jedermann den Wald betreten“, heißt es im Landeswaldgesetz. 4500 Quadratmeter Wald entfallen statistisch auf jeden Brandenburger. Das ist eine Menge Platz, ‘für Einheimische wie ‘für Gäste.